Es ist wieder Fashion Revolution Week und Konsumenten werden dazu aufgerufen, die Modemarken zu fragen: „Who made my clothes?“ – „Wer hat meine Kleidung hergestellt?“ Wer die Organisation Fashion Revolution noch nicht kennt, es handelt sich dabei um eine Nonprofit Organisation, die nach dem Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch gegründet wurde. Bei diesem tragischen Unfall starben 1.138 Menschen und 2.500 wurden verletzt, womit sie zu einen der schlimmsten Industriekatastrophen der Geschichte gehört. Dabei darf nicht vergessen werden, dass dies nicht der einzige Fabrikeinsturz in der Textilindustrie war. Seitdem ruft Fashion Revolution am 24. April zur Fashion Revolution Week auf, um an die Opfer von Rana Plaza zu gedenken und eine Veränderung in der Modeindustrie zu bewirken.
Rana Plaza änderte alles
Auch mich hat damals dieser tragische Unfall stark erschüttert und ich hinterfragte mein Kaufverhalten und die Industrie, in der ich arbeitete. Bis zu dem Zeitpunkt hat mir Mode unheimlich viel Spaß gemacht. Ich probierte neue Trends aus und wartete sehnsüchtig auf jeden ZARA-Sale. Jeder H&M Designer-Kollaboration fieberte ich mit Hochspannung entgegen. Als ich das erste Mal in London war, musste ich auf jeden Fall einen Primark aufsuchen. Ich kannte die neuesten It-Bags und -Schuhe und träumte davon, irgendwann genug Geld zu verdienen, um sie mir zu leisten. Ich hatte so viel Kleidung und noch viel mehr Schuhe und trug trotzdem immer die gleichen Sachen. Rana Plaza rüttelte an mir, doch mein Konsumverhalten wollte oder konnte ich noch nicht ändern. Erst als ich die Ausstellung Fast Fashion besuchte und mir plakativ vor Augen gehalten wurde, wie wir Konsumenten Mode zu einem Wegwerfprodukt degradiert haben und welche Auswirkungen es auf die Umwelt und Menschen hatte, fühlte ich ein Unbehagen aufkommen. Ich werde nie vergessen, wie ich aus dieser Ausstellung kam und wirklich traurig war. Traurig darüber, welche negativen Facetten die Branche hatte, in der ich mit Leidenschaft arbeitete. Ich konnte mich immer weniger mit den Werten meines alten Arbeitgebers identifizieren. Ich hatte tolle Arbeitskollegen und arbeitete unter wirklich guten Arbeitsbedingungen. Doch die Mentalität „Mehr für niedrigere Preise verkaufen“, konnte ich nicht mehr teilen.
Mir wurde bewusst, dass es nachhaltige Mode sein musste. Das war für mich die einzige Möglichkeit, um in dieser Branche weiterhin tätig zu bleiben. Dieser Entschluss fühlte und fühlt sich immer noch richtig an.
Der private Umzug nach Berlin gab mir die Möglichkeit mein Arbeitsumfeld zu ändern. Es war nicht von vornherein klar, dass ich mich der nachhaltigen Mode widmen würde. Doch als ich die freie Zeit nutzte, um über die letzten Jahre meines Berufslebens zu reflektieren wurde mir bewusst, dass es nachhaltige Mode sein musste. Das war für mich die einzige Möglichkeit, um in dieser Branche weiterhin tätig zu bleiben. Dieser Entschluss fühlte und fühlt sich immer noch richtig an. Endlich hatte ich das Gefühl aktiv die Modebranche verändern zu können. Über die Schwierigkeiten moderne, nachhaltige Mode zu entwerfen hatte ich dir bereits in vorigen Blogposts erzählt. Das Mindestmengenproblem bereitete mir mit der geringen Auswahl an schönen nachhaltigen Stoffen Kopfzerbrechen. Wie sollte ich nachhaltige Mode machen, wenn die Industrie mich dazu drängt möglichst hohe Mengen an Stoff zu kaufen und möglichst hohe Stückzahlen zu produzieren? Da ich im Allgemeinen noch dazu neige den schwierigsten Weg auszuwählen, setzte ich mir noch das Ziel eine lokale Produktion in Deutschland umsetzen zu wollen.
Muss es wirklich “Made in Germany” sein?
„Warum produzierst du in Deutschland? Ist das nicht teuer? Du hast doch viele Kontakte im Ausland“. Ja, es ist teuer. Und ja, ich habe viele Kontakte im Ausland, wo es mich nur ein Drittel oder noch weniger kosten würde – und die Musterungskosten von ca. 300 € pro Style entfallen würden. Ich setzte mir bei der Gründung von l’amour est bleu das hohe Ziel eine 100% nachhaltige Lieferkette zu etablieren. Aus diesem Ziel wurde schnell ein Wunschdenken. Bei den Stoffen konnte ich dank Zertifizierungen sicherstellen, dass die Lieferkette von der Faser bis zum fertigen Stoff umweltschonend und sozial fair war. Doch bei der Produktion musste ich kapitulieren: Fairtrade- oder GOTS-zertifizierte Produktionsstätten lachten mich förmlich aus, wenn ich mit meinen 50 Stück pro Style um die Ecke kam. Natürlich konnte ich auf einen der Produzenten aus meinen alten Jobs zurückgreifen. Doch ich wusste, dass ein Produzent im Ausland zwangsläufig mit vielen Reisen verbunden war, um die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Ich konnte nicht mit gutem Gewissen nachhaltige Mode verkaufen, wenn ich mir nicht zu 100% sicher sein konnte, dass mein Produzent wirklich unter fairen Bedingungen meine Bekleidung herstellt. Oder die Produktionen nicht an Unterlieferanten weitergibt.
Die Fabrik war eigentlich ein Wohnhaus, in dem sich ebenfalls hohe Bekleidungstürme sammelten. Dazwischen standen ein bis zwei Nähmaschinen. Meine Familie erzählte mir, dass sie Mode für westliche Marken herstellten, doch für welche, das konnten sie mir nicht sagen.
Bereits zum Ende meines Modedesignstudiums erlebte ich, wie gängig die Praxis war, Textilproduktionen an Unterlieferanten zu vergeben. Dabei wird ein Teil oder die gesamte Produktion an einen anderen Produzenten vergeben, der den Auftrag zu sehr niedrigen Preiskonditionen umsetzt. Durch den hohen Preisdruck, den westliche Modemarken auf die Produzenten ausüben, werden sie oftmals gezwungen diesen Weg zu gehen. Das Problem an dieser Sache ist, dass man nicht weiß, an wem der Auftrag weitergegeben wird. Unter welchen Bedingungen arbeiten die Schneiderinnen? Sind womöglich Kinder involviert? Zum Ende meines Studiums reiste ich mit meiner Familie zum ersten Mal nach Vietnam. Dort besuchten wir Verwandte in einem kleinen Ort namens Mytho. In Vietnam lassen viele Menschen ihre Eingangstür geöffnet – eine willkommenheißende Geste, die mir Einblick in viele Häuser gewährte. Ich entdeckte in vielen Häusern riesige Türme von Bekleidung. Meine Familie arbeitete in der Bekleidungsbranche und ich durfte einen Blick auf ihre Arbeit werfen. Die Fabrik war eigentlich ein Wohnhaus, in dem sich ebenfalls hohe Bekleidungstürme sammelten. Dazwischen standen ein bis zwei Nähmaschinen. Meine Familie erzählte mir, dass sie Mode für westliche Marken herstellten, doch für welche, das konnten sie mir nicht sagen. „Uns bringt jemand die zugeschnittenen Stoffe vorbei und wir nähen die Kleidung zusammen“. Sie zeigten mir eine Cargohose mit aufgesetzten Taschen im urbanen Stil, eine Hose die man bei H&M, Takko oder anderen preiswerteren Modemarken findet. 70 Cent erhielten meine Verwandten pro genähte Hose. Meine Frage, ob die anderen Häuser mit den Bekleidungstürmen ebenfalls solche Aufträge erledigten, bejahten sie. Ich verstand damals dieses System nicht. War aber erschrocken über diesen geringen Produktionspreis, weil ich wusste, dass solch eine Hose bei H&M etwa 19,90 € kostete.
In der Mode dreht sich alles um den Preis
Als ich später begann in der Modeindustrie zu arbeiten, verstand ich, was ich damals in Vietnam gesehen hatte. Keiner meiner ehemaligen Arbeitgeber übergab bewusst ihre Aufträge an fragwürdige Unterlieferanten. Es waren die Produzenten, die es illegaler Weise taten. Manchmal hatte das Unternehmen Glück und kam selber dahinter, im schlimmeren Fall war es die Presse. Doch ich erlebte bei meinem ersten Arbeitgeber auch die Umstände, die die Produzenten dazu nötigte, solche Praktiken anzuwenden. Bei meinem ersten Job war ich Designerin, Einkäuferin und Qualitätscontrollerin. Viel zu viele Aufgaben für eine einzige Person, aber ich denke das verdeutlicht, wie die Arbeitsmoral in diesem Unternehmen war. Als Einkäuferin musste ich die Produktionspreise mit den Produzenten verhandeln, welche ich von einer anderen Abteilung vorgeschrieben bekam und durchzusetzen hatte. Der Druck war enorm, denn höhere Produktionspreise wurden nicht akzeptiert. So übten wir tagtäglich Druck auf die Produzenten aus, deren Existenz von den hohen Ordermengen dieses Modeunternehmens abhingen. Meine Chefin war eine Frau Ende 20 (oder Anfang 30), die sich in ihrem Beruf mehr als selbst verwirklichte. Sie und viele andere Kolleginnen arbeiteten jeden Tag im Monat und verbrachten ein bis höchstens zwei Wochenenden zu Hause. Dementsprechend hatten diese Frauen kein Verhältnis mehr zur Realität. Meine Chefin ging förmlich in ihrer Machtposition auf und ließ ohne mit der Wimper zu zucken fertig produzierte Aufträge platzen, weil sich der Liefertermin verschob oder ihr eine Naht nicht passte. Einmal trieb sie einen Produzenten in die Insolvenz, weil sie eine hohe Order stornierte. Für sie ein Erfolg, den sie erst einmal in der Mittagspause mit den anderen Kolleginnen teilen musste. Ich blieb in diesem Laden nur sechs Monate. Es war eine furchtbare Zeit, doch ich nahm viel für mein zukünftiges Berufsleben mit.
Eine Produktion in Jahnsdorf
Diese Erlebnisse prägten mich so sehr, dass ich mir vornahm alles anders zu machen. Ich wollte meine Produzenten gut kennen und ihnen vertrauen können. Zudem wollte ich nicht den Großteil meiner Zeit auf Lieferantenreisen verbringen, weil ich diese Zeit in meine Familie investieren wollte. Daher war eine Produktion in Deutschland naheliegend. Die Auswahl war nicht groß, ich konnte vier Produzenten auftreiben und entschied mich für das Studio U&N. Weil die ehemalige Geschäftsführerin freundlich, professionell und kompetent wirkte. Auch ihr Nachfolger Herr Weißbach machte einen guten Eindruck auf mich, der sich bestätigte. Bei meinem Besuch vor Ort stellte ich fest, dass meine Unternehmenswerte hier gelebt wurden. Zudem verzauberte mich der Ort an sich. Jahnsdorf ist ein ganz kleines Örtchen mit vielen kleinen Häusern, die so süß sind, dass darin Gartenzwerge wohnen könnten. Ich fand es schön, Frauen aus solch einem kleinen Ort Arbeit beschaffen zu können. Die 27 Schneiderinnen vom Studio U&N sind bodenständige Frauen im mittleren Alter, die keine sozialen Medien nutzen und fotoscheu sind. Umso mehr freute ich mich, dass immerhin die Produktionsleitung Frau Kolleck sich für ein Foto mit Herrn Weißbach bereit erklärte. Als ich meine Mail öffnete, stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich ihnen das „Who made my clothes“- anstelle des „I made your clothes“-Schild zugeschickt hatte. Egal, die beiden lachten auf dem Foto so freundlich, dass ich es dankend entgegennahm.