Warum Heimat und Made in Germany zusammengehören

Was bedeutet für dich Heimat? Das ist eine Frage, die ich mich als Deutsche mit vietnamesischen Eltern mein ganzes Leben lang gefragt habe und die mich auch heute noch beschäftigt. Ich bin in Hamburg geboren und dort lebt mein enger Familienkreis. In Hamburg bin ich aufgewachsen, dort habe ich meine engsten Freunde gefunden und meine schönsten Erfahrungen gemacht…und trotzdem fühlte ich mich nie zu Hause. Ich fühlte mich immer fremd und nicht dazugehörig.

Der innere Konflikt vom Anderssein

Meine kulturellen Wurzeln sind der Grund dafür, dass ich mich in Hamburg nie wirklich zu Hause fühlte. Während meiner Pubertät hatte ich stark mit meiner kulturellen Herkunft zu kämpfen, weil in dieser Zeit mein „Anderssein“ besonders zum Vorschein kam. Vor allem mein Umfeld machte mir bewusst, wie unterschiedlich die Werte waren, die meine Familie mir mitgab. Im Vergleich zu den Eltern meiner westlichen Freunde waren meine Eltern überaus streng: Ich durfte keine zu kurzen Kleider tragen, durfte nicht in die Disco und sollte mich rein auf die Schule konzentrieren. Es fiel mir schwer zwischen diesen beiden Fronten meinen Platz zu finden. Keine Sorge, mittlerweile gehe ich feiern und lebe neben meinem Job ein erfülltes Leben! Mit 23 besuchte ich mit meiner Familie das erste Mal Vietnam und verbrachte drei Monate dort. Ich werde niemals den Moment vergessen, als ich das erste Mal durch die Straßen ging. Die Gerüche, der Lärm und die schwüle Hitze waren das genaue Gegenteil von dem Ort, wo ich aufgewachsen war und dennoch hatte ich das Gefühl alles zu kennen. Mir wurde zum ersten Mal etwas bewusst, was ich zuvor gefühlt, aber nie in Worte fassen konnte: Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn alle Menschen aussehen wie man selbst. So banal es auch klingen mag, aber dieses Gefühl der Zugehörigkeit gab mir das Gefühl zu Hause zu sein. Dazu gehörte nicht nur das Aussehen, sondern auch der alltägliche Umgang mit meiner Familie und den Menschen – ich spürte, dass wir alle die gleichen Werte teilten und fühlte mich verstanden.

Der Irrtum von der gefundenen Heimat

Als ich nach Hamburg zurückging, war ich unendlich traurig. Ich fühlte mich stärker fehl am Platz als je zuvor. Ich vermisste den betörenden Lärm, der dich in Saigon um 7 Uhr morgens weckte. In Hamburg angekommen, schreckte ich oftmals am Morgen auf, weil ich mich über die Stille draußen erschrak. Mir fehlte das exotische Obst, das ich in Vietnam von morgens bis abends aß. Mir fehlte die feuchte Hitze und die brennende Sonne. Ich beschloss, die Verbindung nach Vietnam aufrecht zu erhalten, indem ich die Produktion meines zukünftigen Modelabels nach Vietnam verlegen würde. Allerdings sollte mich mein zweiter Besuch in Vietnam eines Besseren belehren. Vier Jahre nach meinem ersten Besuch reisten wir wieder als Großfamilie dorthin. Der zweite Urlaub war erneut wunderschön, doch er zeigte mir das Land auch von einer anderen Seite. Saigon hatte sich in den vier Jahren wahnsinnig verändert – die Verwestlichung war unübersehbar, die Preise haben sich mehr als verdoppelt und die kleinen einheimischen Shops haben sich halbiert. Die größer gewordene Kluft zwischen Arm und Reich war deutlich zu spüren. Mit dem Resultat, dass die Einheimischen meine Familie und mich weniger als ihresgleichen wahrnahmen. Auf meine Schwester wurden in dem dreiwöchigen Urlaub zwei Raubüberfälle ausgeübt. Zum Glück erfolglos und ohne Waffen oder Gewalt! Aber ich fühlte mich zum ersten Mal in meiner kulturellen Heimat nicht mehr wohl. Die vorherrschende Ungerechtigkeit trafen wir an vielen Orten im Land wieder: Mein Onkel, der regelmäßig Bestechungsgeld an den Staat zahlt, damit sein Restaurant nicht geschlossen wird. Die vielen armen Kinder und Frauen, die uns um Geld baten. Letztendlich ist die größte Ungerechtigkeit, dass mein Vater bei allen Besuchen nicht dabei war, weil er aus politischen Gründen nicht einreisen darf.

Meine Identität: Deutsch-Vietnamesin

Mir wurde während unserer Reise durch Vietnam und beim Kennenlernen anderer Länder bewusst, wie deutsch ich tatsächlich bin und wie sehr ich die deutschen Werte zu schätzen gelernt habe. Ich kann es durchaus verstehen, wenn du über diesen Satz lachen musst! Während meiner Jobs in der Modebranche habe ich mit Lieferanten unterschiedlichster Nationen zusammengearbeitet – Indien, China, Türkei, etc. Die Zusammenarbeit machte mir bewusst, wie sehr ich im Beruf auf deutsche Pünktlichkeit Wert lege und wie wichtig mir direkte Kommunikation ist (ich sage bewusst im Beruf, weil ich privat sehr viel entspannter bin). Aus meinem perfektionistisch veranlagtem Wesen ist im Laufe der Jahre ein Kontroll-Freak geworden. Ich bin aber ein sympathischer Kontroll-Freak, weil ich keine anderen Menschen, sondern nur mich mit meinem Wahn quäle. Im chaotischen Vietnam würde ich mit meinem Arbeitsstil an meine Grenzen kommen oder ich würde innerlich explodieren. Mittlerweile weiß ich es zu schätzen, dass ich als Frau in Deutschland alleine sicher durch die Straßen gehen kann…dass ich mich selbständig machen kann ohne Behörden dafür zu bestechen…dass meine Gesundheit gesetzlich abgesichert ist…die Liste ist ewig lang. Hört sich spießig und alt an? Ja, mag sein, ich empfinde es aber tatsächlich so und seitdem ich eine Tochter habe erst Recht. Letztes Jahr sind meine Familie und ich nach Berlin gezogen, in der Hoffnung dem Gefühl von Heimat ein bisschen näher zu kommen. Und so war es auch. Mein Mann und ich haben uns vor vielen Jahren in Berlin verliebt – in die multikulturelle Gesellschaft, den lebensbejahenden Lebensstil, das bessere Wetter…und ich habe hier sogar ein Stück Vietnam gefunden. Das liegt nicht nur daran, dass hier die meisten Vietnamesen in Deutschland leben, sondern auch an der Stadt selbst. Sie ist ein bisschen chaotisch, schmutzig, laut und fast genauso bunt wie Saigon. Der Mix der Architekturstile und Kulturen erinnert mich an meine kulturelle Heimat. Das Gleiche gilt für die tolerantere Einstellung der Menschen. In Saigon interessiert sich niemand dafür, was du trägst. Dort läuft die Hälfte der Einwohner in Pyjamas rum! So empfinde ich es auch hier und ich liebe diese Freiheit.

Ich habe erkannt, dass Heimat für mich nicht an einen Ort hängt, sondern ein Gefühl ist. Ein Gefühl der Verbundenheit und Freiheit. Ein zu sich selbst finden und sich damit wohl fühlen. Das fühle ich, seitdem ich mein eigenes nachhaltiges Modelabel gegründet habe, noch mehr. Was ist aus „Made in Vietnam“ geworden? Letztendlich habe ich mich für eine Produktion in Deutschland entschieden, weil Deutschland für mich meine örtliche Heimat geworden ist.

Fotos: Alex Galperin, Duc Manh, Nancy Jesse

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